Gut versorgte Astanbindung bei Eiche (links) und Rot-Buche (Fotos: U. Weihs)
Werden bei der Baumkontrolle Totäste in alten Bäumen festgestellt, ist zu entscheiden: Dürfen sie im Baum bleiben und wenn ja, wie lange, ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden? Wichtig für die Gefährdungsbeurteilung ist, die Ursache für das Absterben von Ästen zu erkennen und auch einen Blick auf den Bereich der Astanbindung zu werfen. In der Baumzeitung 4/23 geht Prof. Dr. Ulrich Weihs ausführlich auf die Gefährdungsbeurteilung von Totästen ein und gibt Handlungsempfehlungen für die Praxis. Seinen Beitrag können Sie hier lesen, dort finden Sie auch das vollständige Literaturverzeichnis.
Welcher Zeitrahmen ist angemessen?
Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 31.07.2015 in Verbindung mit Hinweisbeschluss vom 03.07.2015 (11 U 113/14) zum Zeitrahmen für eine notwendige Totholzbeseitigung nach sachverständiger Beratung drei Monate für angemessen erachtet. Es führt weiter aus: „Das Zugestehen eines derartigen Reaktionszeitraumes steht im Einklang mit dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, dass ein Verkehrssicherungspflichtiger nicht für jede denkbare und nur entfernte Möglichkeit eines Schadeneintritts Vorsorge schaffen muss, sondern nur die Vorkehrungen zu treffen hat, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. (...)
Ein Verkehrssicherungspflichtiger wäre überfordert, müsste er, um einer Haftung zu entgehen, auf jeden erkannten abhilfebedürftigen Zustand unverzüglich reagieren, auch wenn objektiv keine Notwendigkeit zu sofortigem Handeln erkennbar ist."
Zwar verbleibt bei einem auch nur kurzfristigen Aufschieben der Abhilfemaßnahme die Gefahr, dass sich eine sachgerecht getroffene Gefahrenprognose aufgrund besonderer, nicht vorhersehbarer Umstände nachträglich als unzutreffend erweist und ein Schaden früher, als zu erwarten war, eintritt.
Dieses Restrisiko ist jedoch als allgemeines Lebensrisiko von Betroffenen, welche die zu sichernden Verkehrsflächen nutzen, entschädigungslos hinzunehmen, da eine Sicherung, die jede Schädigung ausschließt, ohnehin nicht erreichbar ist."
Rechtsbegriffe zur Dringlichkeit
Das OLG Düsseldorf stellt in einem Urteil vom 15.07.2020 darauf ab, dass sich der Zeitraum für die Beseitigung einer erkannten Gefahr nach der Dringlichkeit der Maßnahme zu richten hat. Nach dem Erkennen der Gefahr sei eine Prognose geboten, innerhalb welchen Zeitraums zur Sicherung des Verkehrs baumpflegerische Maßnahmen zu veranlassen sind.
Im Zusammenhang mit der Dringlichkeit von Maßnahmen sind folgende Rechtsbegriffe gebräuchlich:
Der Rechtsbegriff „unverzüglich" ist in § 121 Abs. I Satz 1 BGB gesetzlich definiert und bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern". Er enthält einen Wertungsspielraum, der abhängig von den Einzelfallumständen durchaus dazu führen kann, dass zwischen dem Erkennen und dem Entfernen eines Totastes ein beachtlicher Zeitraum liegen darf. Diese gesetzliche Definition gilt im Interesse der Rechtssicherheit entsprechend für alle Rechtsbereiche.
Im Vergleich dazu bedeuten die synonymen Begriffe „sofort" oder „umgehend", dass Gefahr im Verzug ist und die betreffende Maßnahme keinerlei Aufschub duldet, also ohne jede Verzögerung sofort zu handeln ist.
Zeitfenster für Maßnahmen je nach Einzelfall
Liebeton (in Dujesiefken et al. (2018)) betont, dass das Zeitfenster für notwendige Maßnahmen, die aus der Baumkontrolle resultieren, vom Baumkontrolleur stets einzelfallbezogen unter Angabe eines konkreten Zeitfensters zu erfolgen hat, also beispielsweise Maßnahme „sofort", „unverzüglich", „innerhalb eines Monats", „innerhalb von 3 Monaten", „innerhalb von 6 Monaten", bis zur nächsten Baumkontrolle.
Seiner Auffassung nach liefe alles andere einer sinnvoll zu praktizierenden Baumkontrolle mit Festlegung von Maßnahmen und deren Zeiträumen zuwider. Die vorgesehenen Zeiträume sollten jedoch hinreichend konkret benannt werden, da es anderenfalls im Streitfall zu Problemen kommen kann. Desweiteren ergibt sich aus der einschlägigen Rechtsprechung kein Maßstab dahingehend, dass Totäste ab einem bestimmten Durchmesser unmittelbar als verkehrsgefährdend gelten. Seiner Erfahrung nach ist die Rechtsprechung zurückhaltend, wenn es darum geht, allgemeinverbindliche Standards für Verkehrssicherungspflichten an genauen Grenzwerten festzumachen, da man sonst den besonderen Umständen des Einzelfalles nicht gerecht werden könnte.
Er führt weiter aus, dass sich in der Praxis die Faustregel entwickelt hat, dass Totäste im Allgemeinen ab einem Durchmesser von ca. 5 cm an der Astbasis als verkehrsgefährdend gelten, während sie auch bei größeren Durchmessern in der Krone toleriert werden können, wenn es sich lediglich um kurze Stummel handelt.