Der Sortenschatz der Birnbäume

Die Klaus Tschira Stiftung fördert ein Projekt, das alte Birnensorten mit Hilfe des genetischen Fingerabdruck identifizieren und damit sichern will. Antragsteller des Projekts, das nun zwei Jahre lang gefördert wird, ist Michael Heißenberg von der Stiftung Zeitlupe.


Michael Heißenberg beim Durchforsten alter Birnenbestimmungsbücher. (Foto: zeitlupe)

Historisch wurden in deutschsprachigen Obstsortenverzeichnissen über 1.000 Birnensorten ausführlich beschrieben, aber da es keinen Bestimmungsschlüssel wie in der Botanik gibt, ist eine Bestimmung mittels Buchwissen so gut wie unmöglich. Heute sind nur noch etwa 300 Sorten namentlich vorhanden. Allerdings gibt es in Deutschland nicht mehr viele Expert:innen, die über entsprechendes Wissen verfügen.

Alte Sorten sind wertvoll

Diese Sorten und ihre Eigenheiten kennenzulernen und zu beschreiben, ist in Zeiten des Klimawandels sehr wichtig. Denn viele der alten Sorten auf den Streuobstwiesen sind deutlich weniger krankheitsanfällig und wesentlich resistenter gegen Hitze und Trockenheit als die „neuen" Sorten, die wir aus dem Supermarkt kennen. Sie bergen damit ein erhebliches Potenzial für zukünftige Züchtungen. Das aber nur, wenn sie bezeichnet werden können, in ihren Eigenschaften erkannt und in Baumschulen vermehrt werden.
Weil Birnbäume ein sehr hohes Alter von bis zu 200 Jahren erreichen können, besteht Hoffnung, dass es für die Untersuchungen noch nicht zu spät ist. Auf Obstwiesen, in Hausgärten oder an Feldrändern stehen noch viele, meist sehr alte Bäume mit einer Vielzahl an Sorten mit wertvollen Eigenschaften.

Genetischen Fingerabdruck erfassen

Eine Möglichkeit zum Erhalt einzelner Sorten bietet die Erfassung des molekulargenetischen Fingerabdrucks, erklärt Michael Heißenberg. Er möchte mit seinen Mitstreitern in den nächsten zwei Jahren den genetischen Fingerabdruck von mehr als 600 Proben nehmen lassen, mit der Sortenkenntnis der Pomologie zusammenführen und dann wiederum die Daten der Fachwelt und der Öffentlichkeit kostenfrei zur Verfügung stellen.

Heißenberg engagiert sich schon lange für den Erhalt alter Obstsorten. Er hat nicht nur gelernt, aus einjährigen Trieben (Edelreisern) von Apfel, Birne, Quitte und Steinobst junge Bäume zu ziehen und zu veredeln, sondern hat auch auf rund 90 Flächen mehr als 4.200 Bäume der alten Sorten als „lebendige Genbank" gepflanzt. Sogar eine Fläche in der Hamburger Hafencity und eine auf einem großen Hamburger Friedhof gehören dazu.

Worauf es bei der Sortenbestimmung ankommt

Er erklärt, worauf bei einer Birnensorten-Bestimmung zu achten ist: Wie sitzt der Stiel? Welche Farbe hat er? Wie lang ist er und welche Struktur weist er auf? Welche Form hat die Frucht? Wie ist die ehemalige Blüte an der Unterseite geformt? Welche Farbe und Form hat die Birne? Gibt es Rost? Wie sehen die Kerne aus?
„Es gibt nicht mehr viele Menschen, die dieses Wissen haben", sagt Heißenberg. Deshalb ist es ihm ein Anliegen, die noch vorhandene Sortenkenntnis mit der Genetik in einer Datenbank zu verbinden. Ist das Projekt beendet, soll es in verschiedene, der Öffentlichkeit zugängliche Datenbanken eingespeist werden und der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.

Wissen für die Zukunft erhalten

Dann wissen die Verantwortlichen in Landwirtschaft oder auch in Städten, welche Sorten für welche Standorte auch in Zeiten des Klimawandels geeignet sind. Außerdem können gezielt Birnensorten gezüchtet werden, die weniger Wasser benötigen und weniger Schädlingsbekämpfung. „Wir wollen für die Zukunft Wissen erhalten", unterstreicht er. Und Begeisterung wecken. Denn wer ihm zuhört, bekommt selbst Lust, Bäume aufzuziehen und so mit den eigenen Händen der Klimakrise und dem Niedergang der Artenvielfalt etwas entgegenzusetzen.