Würden Sie Sich unseren Lesern kurz vorstellen: Wer sind Sie und was genau macht die Sanity Group?
Die Sanity Group hat es sich zum Ziel gesetzt, das Potenzial der Cannabispflanze zu entschlüsseln und zugänglich zu machen. Wir machen zum einen Kosmetik und Konsumgüter auf Basis von CBD, wo vor allem europäischer Nutzhanf zum Einsatz kommt. Daneben haben wir auch eine medizinische Geschäftseinheit, zu der unsere Marken im Bereich medizinisches Cannabis gehören sowie zwei Tochterunternehmen im Bereich Medizinprodukte und digitale Anwendungen sowie Fertigarzneimittelforschung. Der Anbau für unser medizinisches Cannabis erfolgt hauptsächlich in Südafrika, Portugal und Kanada, dort haben wir jeweils Anbaupartner, die für uns den Anbau übernehmen, weil wir in Deutschland ja nicht anbauen dürfen. Über 90 Prozent des medizinischen Cannabis in Deutschland stammt aus Importen. Natürlich beschäftigen wir uns darüber hinaus auch schon heute mit dem Konsum, der mit einer künftigen Legalisierung einhergehen würde.
Sie sind „Cannasseur“, ein sogenannter Cannabis-Sommelier – das klingt erst einmal sehr ungewöhnlich.
So ungewöhnlich ist der Beruf an sich tatsächlich gar nicht. Aber das Cannabis ist natürlich das, was ihn für viele aktuell noch ungewöhnlich erscheinen lässt. Ich habe Freunde, die ebenfalls im Sourcing tätig sind, zum Beispiel im Bereich der Tropenfrüchte – die probieren natürlich auch erstmal eine bestimmte Ananas, bevor sie davon eine ganze Tonne oder mehr davon kaufen. Letztlich mache ich nichts anderes, nur dass noch ein paar Dimensionen hinzukommen, die in den klassischen Berufsfeldern nicht zu finden sind. Man muss gut geschult sein und braucht viel Erfahrung damit. Um meine Kenntnisse noch zu erweitern, habe ich einen speziellen Lehrgang in den USA besucht und wurde dort intensiv an der Blüte geschult. Darüber hinaus hilft mir mein Studium der Agrarwissenschaften natürlich dabei, die Pflanzen und die Anbauanlagen einzuschätzen – sind alle Pflanzen gesund und haben Potenzial? Sind es außergewöhnliche Pflanzen oder 08/15-Gewächse? Ausdifferenzierte Aromen werden z. B. immer wichtiger.
Beschreiben Sie doch kurz Ihren Arbeitsalltag. Sie sind auf der Suche nach einer neuen Blüte – Wie gehen Sie vor?
Das Scouting beginnt in der Regel online mit einem potenziellen Partner. Oft hat man schon von bestimmten Produzenten gehört oder umgekehrt. Mittlerweile haben wir ein gutes Netzwerk. Wir haben uns in der Vergangenheit weit über 200 Produzenten angeschaut und vorsortiert. Wenn ein Partner zu uns zu passen scheint, machen wir uns einen Eindruck vor Ort und möchten den Produzenten und dessen Anlage im Detail kennenlernen. Dabei ist auch ein „Vibe-Check“ essenziell für uns, denn wir sind an langfristigen Partnerschaften interessiert. Wenn Patientinnen und Patienten in ihre Apotheke gehen und ein Produkt gefunden haben, dass ihnen bei ihren Beschwerden hilft, dann sollen sie das ja auch langfristig bekommen können. Genau hier liegt unsere Verantwortung. Zudem ist Cannabis ein Naturprodukt und es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren – da ist es wichtig, dass sich beide Seiten verstehen. Ich achte auch darauf, wie sauber eine Anlage ist, welche Philosophie verfolgt wird und was das Konzept ist. Wir suchen kein Unternehmen, das verspricht: ‚Wir machen richtig viele Pflanzen in Top-Qualität‘ – denn bei Cannabis ist es meist so, dass man entweder viel produziert oder gute Qualität bietet.
Woran liegt das?
Team, Anlage und Genetik müssen optimal aufeinander abgestimmt sein. Man braucht die richtigen Leute, die das Ganze entsprechend operieren. Wir haben schon erlebt, dass Anbauer in ihrem „Goldenen Käfig“, den riesigen, teuren Anlagen, sitzen und ihre Produktionskosten kaum decken können, weil sie an den Bedürfnissen des Marktes vorbei produzieren. Das erleben wir leider immer wieder. Wenn man vorher Gurken und Tomaten produziert hat, ist Cannabis nicht bloß eine weitere Kultur. Sowas kann nur funktionieren, wenn man sich dann jemanden ins Team holt, der das Thema versteht und das entsprechende Feingefühl für den Anbau von Cannabis mitbringt.
Und wie testen Sie das Cannabis vor Ort? Besser gefragt: Auf welche Art und Weise konsumieren Sie es?
Alle Sinne kommen zum Einsatz: Ich sehe es, rieche es, will wissen, wie es sich anfühlt. Ich achte zunächst auf den Geruch. Im Gegensatz zu visuellen Eindrücken sind Gerüche eher abstrakt: Gerüche sind mit Assoziationen, mit Erinnerungen verknüpft, die man sich bewusst vor Augen rufen muss. Wenn es der rechtliche Rahmen hergibt, dann teste ich das Produkt nach allen Regeln der Kunst. Der erste Test ist, zunächst einen trockenen Zug, einen sogenannten „Dry Hit“, zu nehmen, denn dabei kommen auch schon eine Menge Aromen durch, wenn man Glück hat. Anschließend geht es dann auch um die Intensität und Langlebigkeit des Geschmacks – und da trennt sich dann die Spreu vom Weizen: Riechen können viele Cannabissorten ganz gut, aber wenn man sie dann raucht oder verdampft und sich der Geruch in Geschmack übersetzt – das ist der wesentliche Punkt. Viele Menschen behaupten: „Das schmeckt doch immer verbrannt!“ – bis sie eine entsprechende Qualität bekommen haben und es danach anders sehen können. Wissenschaftlich ist es so: Je komplexer ein Aroma ist, desto weniger schnell wird es langweilig und umso länger kann ein Patient auch bei seinem Medikament bleiben. Das Problem bei neueren Züchtungen ist, dass die Aromen oft sehr eindimensional sind. Die riechen alle super fruchtig, aber mehr auch nicht – und das wird leider schnell eintönig.
Also scheint der alte Spruch: „Je bitterer etwas schmeckt, umso besser hilft es“ bei Cannabispräparaten nicht zuzutreffen?
Ich glaube, dieser Spruch ist sowieso ein wenig überholt. Bei Cannabis ist Geschmack kein Selbstzweck, denn die Aromen setzen sich aus Terpenen zusammen, die genau wie die Cannabinoide in den Harztröpfchen der Pflanze vorkommen. Diesen Terpenen wird auch eine klinische Wirkung nachgesagt; sie modellieren den Wirkungseffekt der Cannabinoide – das wird dann als „Entourage-Effekt“ bezeichnet. Der Geruch von Cannabis ist also nicht wirkungslos. Und wenn etwas angenehm ist, dann führt es dazu, dass man dabei bleibt, was für eine medizinische Therapie natürlich vorteilhaft ist.
Welche Qualitätskriterien muss Cannabis erfüllen, damit Sie es weiterempfehlen?
Es gibt verschiedene Prüfschemata, die man anwenden kann – und viele Wege zum Ziel. Im vergangenen Jahr habe ich einen Ganjier-Lehrgang in den Vereinigten Staaten mitgemacht, dort wird nach vier Hauptkriterien geprüft: Aussehen, Geruch, Geschmack und Effekt. Das Ganze ist ein numerisches Bewertungssystem, es werden also Werte für die jeweilige Kategorie vergeben. Eine Besonderheit stellt der Effekt dar: Ob ein Effekt am Ende als ansprechend wahrgenommen wird oder nicht, bleibt dann dem Patienten überlassen.
Weitere interessante Fakten zu der Pflanze Cannabis lesen Sie in der aktuellen TASPO Ausgabe. Teil zwei des Interviews mit Tim Dresemann lesen Sie in der kommenden Woche auf taspo.de, darin spricht der Cannabis-Sommelier unter anderem darüber, ob sich ein Anbau für deutsche Gartenbaubetriebe lohnt.