Exakte Arbeitszeiterfassung: Verstöße künftig offenkundiger?

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Der Projektleiter eines GaLaBau-Betriebs plant nach Feierabend zuhause schnell noch den Arbeitseinsatz am nächsten Tag, und der Gärtner bringt auf dem Nachhauseweg noch zwei Paletten Ware beim Kunden vorbei: Wenn es nach dem neuen Urteil des Europäischen Gerichtshofs geht, muss künftig jede dieser Arbeitszeiten – und damit auch jede Arbeitslücke – strikt dokumentiert werden. Wir haben über den BdB bei Verbandsanwalt Dr. Jan Wendt nachgehakt.

Was wird sich Ihrer Einschätzung nach durch das neue EU-Urteil zur Arbeitszeitenerfassung für die Betriebe konkret ändern?

Wie der deutsche Gesetzgeber mit diesen Vorgaben umgeht, lässt sich im Moment noch nicht beurteilen. Da in Deutschland jedoch bislang bei weitem nicht in allen Branchen die Arbeitszeiten systematisch erfasst werden, müssen sich die Arbeitgeber auf große Veränderungen einstellen. Große Herausforderungen wird vermutlich das Erfassen der Arbeitszeiten von Außendienstmitarbeitern und von Arbeitnehmern, die von zu Hause aus arbeiten, mit sich bringen.

Da es bereits mehrere Apps und Computerprogramme gibt, die automatisch Arbeitszeiten erfassen, ist zu vermuten, dass der deutsche Gesetzgeber solche Softwarelösungen akzeptiert. Der EuGH hat jedenfalls offengelassen, wie die Zeiterfassung erfolgen soll. Es wäre also neben den Software-Lösungen die Rückkehr der Stechuhr ebenso denkbar wie die einfache Dokumentation auf Papier.

Inwieweit behindert die Aufzeichnung die Flexibilität der Arbeit aus Ihrer Sicht? Können Sie Beispiele aus dem Gartenbau nennen?

Es wird vor allem von Arbeitgeberseite befürchtet, dass Angestellte nicht kurzfristig und unbürokratisch tätig werden können. Außerdem wird im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion insgesamt das System mit den gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten hinterfragt. Wer sich an einem Tag früher um seine Kinder kümmern möchte, um dann am Abend Anrufe und E-Mails zu beantworten, verstößt möglicherweise gegen das Arbeitszeitgesetz – was durch die vollständige Arbeitszeiterfassung jetzt zutage treten könnte.

Ebenso wird behauptet, es könne wenig flexibel auf konkrete Anfragen reagiert werden. Dies sei beispielsweise schwierig bei per E-Mail gestellten Kundenanfragen, die am Ende der regulären Arbeitszeit von unterwegs oder von zu Hause beantwortet werden müssten. Wenn nur in dem Betrieb selbst die Arbeitszeiterfassung möglich ist, könnten solche Anfragen möglicherweise nicht mehr zeitnah bearbeitet werden – und damit den großen Unternehmen in die Hände spielen, die sich modernere Zeiterfassungssysteme oder mehr Mitarbeiter leisten können.

Da jedoch noch völlig unklar ist, wie letztlich die Zeiterfassung aussehen soll, lässt sich aus unserer Sicht nicht abschließend beurteilen, ob tatsächlich solche gewünschten Ausnahmen nicht doch möglich sein werden.

Das komplette Interview mit Dr. Jan Wendt (Dr. Nietsch & Kroll Rechts- und Fachanwälte, Hamburg) und mehr zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs lesen Sie in der TASPO 21/2019, die Sie im TASPO Online-Shop abrufen können.

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