Geht es auch ohne chemischen Pflanzenschutz?

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Was denn nun? Funktioniert der Gartenbau nur mit oder ganz ohne chemischen Pflanzenschutz? Foto: lidian neelemann/Fotolia

Für seine vielfältiges Meinungsbild und seinen guten Branchenspiegel viel gelobt wird derzeit unser aktuelles TASPO dossier. Provokant behauptet es „Es geht auch ohne chemischen Pflanzenschutz“ im Gartenbau – und lässt dazu alle Seiten zu Wort kommen: Vom Handel über Berater und Produzenten und NGOs bis zum Endverbraucher. Dieses dossier will aufzeigen, wie die einzelnen Marktplayer das Thema sehen, es soll aufrütteln, gegensätzliche Positionen sachlich deutlich machen und vielleicht sogar mögliche Zukunftsszenarien aufzeigen.

Pro chemischer Pflanzenschutz: Gehölze besser nicht ohne!

„Gehölze sollte man besser nicht ohne chemischen Pflanzenschutz kultivieren“, sagt Heinrich Beltz vom Versuchswesen Baumschule in Bad Zwischenahn. „Denn wenn wir in der Gehölzproduktion völlig auf Pflanzenschutzmittel verzichten, kann es passieren, dass der Kunde künftig lieber Steingabionen statt Hecken, Pralinen statt der Topfrose kauft. Es gibt versteckte Erkrankungen und Schädlinge, die erst später Probleme bereiten. Der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel kann zu hohen Preisen und immensen wirtschaftlichen Einbußen führen“, warnt er.

Gesundes Vermehrungsmaterial: strenge Anforderungen

Zudem gebe es gesetzliche Vorgaben: Jungpflanzen- und Unterlagenbaumschulen sowie Reiserschnittgärten dürfen nur absolut gesundes Vermehrungsmaterial in den Umlauf bringen, das besonders im Hinblick auf Viren, Mycoplasmen und Bakteriosen strengen Anforderungen unterliegt. Ohne Schutz durch Insektizide vor den Überträgern dieser gefährlichen Erkrankungen sei Zudem seien auch die im biologischen Anbau zugelassenen Pflanzenschutzmittel  nicht frei von Risiken für Mensch und Umwelt, wie entsprechende Auflagen in deren Anwendungsbestimmungen deutlich machen.

Den Risiken für Umwelt und Gesundheit, die durch den Verzicht auf den überwiegenden Teil der zugelassenen chemischen Pflanzenschutzmittel vermieden werden sollen, stehen auf der anderen Seite Risiken durch die im Bioanbau zugelassenen Betriebsmittel sowie durch Befall mit nicht erkannten Schaderregern gegenüber.

Contra chemischer Pflanzenschutz: Gartenbau muss in drei bis vier Jahren chemiefrei sein

 „Ja! Es geht ohne“, sagt dagegen Klaus Bongartz, Berater für den Bioanbau von Zierpflanzen und selbst lange Jahre Inhaber eines Zierpflanzenproduktionsbetriebes. In drei bis fünf Jahren, so schätzt er, wird der Gartenbau an den Handelskassen ein nahezu chemiefreies Produkt abliefern müssen. Den Druck des Handels sieht der Anbauberater und Gärtnermeister aber eher als motivierend an.

Denn dadurch klopfen immer mehr Gartenbaubetriebe, auch große und auch solche, die den Bioanbau früher belächelt haben, heute bei der Anbauberatung des Arbeitskreises Biozierpflanzen an und wollen wissen, wie es auf Dauer „ohne“ geht – oder wie man zumindest von den großen Wirkstoffmengen herunterkommen kann. Dass der Zierpflanzenbauanbau auch ohne Pflanzenschutzmittel funktioniert, beweisen die Biobetriebe im In- und im Ausland heute schon – aber der langfristig weit verbreiteteste Produktionsweg wird in Zukunft eine „naturnahe“, sprich weitestgehend chemiefreie Anbauweise sein, sagt Bongartz..

„Meine Vision ist, auf Dauer 97 Prozent der Betriebe auf eine Art ,Bio light‘-Anbau zu bekommen“, erläutert er sein ehrgeiziges Ziel. Es sei zwar ein mühsamer Weg, bis ein Betrieb den Anbau ganz ohne Pflanzenschutzmittel schafft – aber die ersten Erfolge sind, und das motiviert, dabei schon sehr schnell erreichbar:  Viele Betriebsleiter beobachten schon nach einigen Wochen, dass ihre Pflanzen kräftiger, kompakter, weniger anfällig, stresstoleranter werden und gar nicht erst oder kaum noch Pflanzenschutzmittel benötigen. Dabei sei mit dem Wechsel des Anbaus auf chemiearm oder sogar -frei kein Rückschritt und kein Qualitätsverlust verbunden.

Biologisch-naturnahe Kultur erfolgt heute mit höchstem technischen Standard

„Biologisch-naturnahe Kultur erfolgt heute mit höchstem technischen Standard“, so der Experte. Und bedeutet für den Produzenten auch weniger Stress: „Man kommt aus dem Hamsterrad der Routine heraus, konzentriert sich wieder mehr aufs Produkt. Und wird auch gelassener, weil die Pflanzen widerstandsfähiger, kultursicherer sind, man beispielsweise keine Furcht vor schnellen Hitzeschäden haben muss“, sagt Bongartz.

Der Berater ist davon überzeugt, dass rund 30 Prozent der Pflanzenschutzmittel im Gartenbau derzeit rein für die „eigene Versicherung im Kopf“ angewendet werden – verständlich angesichts der hohen Produktionskosten. Entsprechend koste es Überwindung und Zeit, um den Schalter im Kopf umzulegen.

Dieses dossier will aufzeigen, wie die einzelnen Marktplayer das Thema sehen, es soll aufrütteln, gegensätzliche Positionen sachlich deutlich machen und vielleicht sogar mögliche Zukunftsszenarien aufzeigen. Wir freuen uns auf Ihre kritischen Reaktionen unter red.taspo(at)haymarket.de.

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