Rosenkohl als Vorbild
Vor mehr als 30 Jahren identifizierten Wissenschaftler sogenannte Glucosinolate im Rosenkohl: Diese Chemikalie war der Auslöser für den damals bitteren Geschmack des Minikohls. Nachdem der chemische „Übeltäter“ bekannt war, fingen einige Pflanzenzüchter damit an, sich wieder verstärkt auf alte Rosenkohlsamen zu konzentrieren, die weniger Glucosinolate in sich tragen. Damit schmecken sie zwar deutlich milder, sind jedoch nicht so ertragreich wie ihre bitteren Nachfahren. Anschließend kreuzten die Züchter die schmackhafte mit der ertragreichen Variante des Rosenkohls. Das Ergebnis war eine neue Sorte, die bis heute auf unseren Tellern landet und seither eine beliebte Gemüsebeilage ist. Der Rosenkohl hat zwar vorgemacht, wie sich leckere Neukreationen züchten lassen – dennoch hat sich dieser Vorgang bisher kaum wiederholt.
Neue Methoden erleichtern Neuerfindung von Gemüse
Die Begründung für den Alleingang des Rosenkohls findet sich in den unterschiedlichen Priorisierungen von Pflanzenzüchtern und Konsumenten: Während Letztere großen Wert auf Geschmack legen, achten Züchter häufig auf Eigenschaften wie Krankheitsresistenz. „Ich würde sagen, dass die Krankheitsresistenz heutzutage wahrscheinlich das Hauptaugenmerk der meisten Züchtungsprogramme ist“, sagt Harry Klee, ein emeritierter Professor für Gartenbau an der University of Florida, der sich auf Tomaten spezialisiert hat. Er ergänzt: „Qualitätsmerkmale werden wirklich völlig ignoriert“. Allerdings steht Züchtern von heute hochmoderne Gen-Technologie zur Verfügung, mit der sie die Neuerfindung des Rosenkohls theoretisch wiederholen könnten. Während solche Entwicklungen jahrelang durch die Kontroverse um genetisch veränderte Organismen gehemmt wurden, sieht es heute ganz anders aus. Neue Methoden ermöglichen es den Züchtern, innerhalb des eigenen Genoms einer Pflanze zu arbeiten und Änderungen vorzunehmen, die keine komplizierten Vorschriften berühren.
Klassische Züchtung: Das Beste für wirklich komplexe Geschmacksrichtungen
Diese neuen Techniken und Werkzeuge sind zum Beispiel die Genschere CRISPR und die DNA-Sequenzierung. Durch sie ist der Gemüse-Geschmack wieder mehr in den Fokus einiger Züchter gerückt. Das freut auch Susan Brown, sie ist Apfelzüchterin an der Cornell University und sagt: „Es gab noch nie einen besseren Zeitpunkt, um Obst- oder Gemüsezüchter zu sein.“ Einige Unternehmen haben bereits damit begonnen, die neuen Methoden für die Züchtung von schmackhafterem Gemüse zu nutzen. Zum Beispiel die US-amerikanische Lebensmittelfirma Pairwise. Auch bei Pairwise ging es wieder um die Eliminierung der Glucosinolate. Dieses Mal modifizierten die Forscher allerdings Blattgemüse – und zwar mithilfe der Genschere CRISPR. Die Wissenschaftler von Pairwise haben untersucht, wie sie den bitteren Geschmack von Grünkohl mithilfe des Gen Editings verändern können. Ihr Ziel war es, den Kohl milder schmecken zu lassen. Das Ergebnis ist ein gesundes, aber weniger bitteres Blattgemüse, das das Unternehmen seit 2023 vermarktet. Das sei ein Beispiel dafür, was geschmacksorientiertes Gene Editing leisten kann, sagt Tom Adams, Mitbegründer und CEO von Pairwise. Um wirklich komplexe Geschmacksrichtungen zu erzeugen und nicht einfach nur störende Einflüsse zu entfernen, sei die traditionelle Züchtung in seinen Augen aber immer noch der beste Weg.