4.700 Pflanzen für eine Oase über den Dächern der Großstadt
„Der Pflanzstart ist für uns alle ein großartiger Meilenstein auf dem Weg zum grünen Bunker“, sagt Henning Lübbe, Projektleiter des Bauherrn Matzen Immobilien KG als der Baukran die ersten Nadelgehölze an ihren Bestimmungsort setzt. Der Säulenwacholder und die drei Bergkiefern sind zu diesem Zeitpunkt 15 bis 20 Jahre alt, drei Meter hoch und wiegen eine halbe Tonne. „Die 4.700 Bäume, Sträucher, Hecken und Kletterpflanzen sind ausgewählte Pflanzenarten, die im nordeuropäischen und alpinen Raum beheimatet sind und Frost, Hitze und Sturm in mehr als 50 Meter Höhe aushalten“, erklärt Projektsprecher Frank Schulze. Zu diesen 4.700 Pflanzen zählen zum Beispiel Obstbäume, Strauch-Waldkiefern, Felsenbirnen, Zoeschner Ahorn, Lorbeer-Kirsche, Stechpalme, Feldahorn, Efeu und Rosenstöcke. Alle großen Gehölze werden zusätzlich im Boden verankert, um für Stabilität zu sorgen. Für Projektsprecher Frank Schulz ist klar, die Pflanzkombination muss das Flair des Hamburger Szenestadtteils unterstreichen: „Ein englischer Garten würde nicht zu St. Pauli passen. Also wird es hier auf dem Bunkerdach natürlich und urwüchsig aussehen, ein wenig wild, ein bisschen zerzaust.“ Bereits seit September wird das Substrat auf die vorgesehenen Flächen in über 50 Meter Höhe ausgebracht. Insgesamt werden etwa 2.000 Kubikmeter der nährstoffreichen und eigens für den grünen Bunker angefertigten Spezial-Mischung benötigt.
Ein grauer Betonklotz als Vorzeigeobjekt urbaner Baukunst
In Zeiten des Klimawandels besitzt die Bepflanzung des Bunkers auf St. Pauli eine Vorbildfunktion für Projekte ähnlicher Art auf der ganzen Welt. Denn Hitzewellen, Dürren, Starkregen und Luftverschmutzung betreffen besonders auch die internationalen Metropolen. Das Interesse an praktischen Erfahrungen ist immens. Um die Effekte einer Begrünung wissenschaftlich zu belegen, sind im gesamten Bunker Sensoren installiert, die fünf Jahre lang Daten wie Verdunstungskälte und Wärmedämmung erfassen. Die dabei generierte Datenmenge dürfte enorm sein, denn insgesamt sollen mehr als 7.600 Quadratmeter öffentliche Gemeinschaftsflächen, 1.700 Quadratmeter Fassadenfläche sowie ein rund 300 Meter langer „Bergpfad“ begrünt werden. Doch soll der Bunker nicht bloß durch sein grünes Gewand ins überzeugen, sondern gleich mehrere praktische Zwecke erfüllen. So entsteht im Innern des grauen Gemäuers eine Mehrzweckhalle, die zum einen für Schulsportunterricht und zum anderen für Abendveranstaltungen mit bis zu 2.200 Gästen genutzt werden kann. Des Weiteren soll ein Hotel mit 136 Zimmern eine Übernachtung in dieser ungewöhnlichen Kulisse ermöglichen. Krönung des grünen Bunkers wird eine öffentlich-zugängliche Dachterrasse 58 Meter über den Dächern Hamburgs sein, die über den Bergpfad zu erreichen ist. Zudem soll der Koloss von St. Pauli auch Kunst und Kultur ein zu Hause geben: So entstehen Räume für Stadtteilkultur, Ausstellungen, aber auch Unterkünfte für Stipendiaten und Künstler.
Der grüne Bunker hat eine braune Vergangenheit
Zum ersten Mal erinnert eine Gedenktafel an die schrecklichen Umstände wie der grüne Bunker in der Feldstraße ursprünglich entstanden ist. Im Jahr 1942 mussten 1.000 Zwangsarbeiter den „Flakturm IV“, wie er offiziell heißt, in 300 Tagen errichten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Bunker regelmäßig von mehreren Zehntausend Menschen genutzt, um sich vor Luftwaffenangriffen in Sicherheit zu bringen. In der Nachkriegszeit erfüllte Flakturm IV dann zum ersten Mal zivile Zwecke – als Wohnraum in Zeiten größter Wohnungsnot. Die aktuellen Umbauarbeiten sind bereits seit 2019 im Gange und kosten den Bauherrn Matzen Immobilien KG nach eigenen Angaben etwa 60 Millionen Euro. Auch die zukünftigen Kosten für die gärtnerische Pflege des öffentlichen Stadtgartens nach Fertigstellung übernimmt die Immobilienfirma. Anfang 2023 sollen alle baulichen Maßnahmen und Verschönerungsarbeiten an dem grünen Bunker abgeschlossen sein. Doch ist die endgültige Fertigstellung letzten Endes auch von externen Faktoren abhängig, dazu zählen mögliche Lieferengpässen, die allgemeine Materialknappheit und die Corona-Entwicklung.