50 Jahre Pflanzenschutz: Was bringt die Zukunft? – Prof. Dr. Klaus Schlüter
Rückblick und Ausblick zugleich: Prof. Dr. Klaus Schlüter, ehemals Professor für Phytomedizin und Botanik an der Fachhochschule in Kiel, ließ wichtige Eckdaten der Entwicklungen der letzten 50 Jahre zum Thema „Pflanzenschutz“ vor den Augen der Anwesenden Revue passieren. 1945 bis 1970 war in der Landwirtschaft die Ernährungssicherung das oberste Ziel. Modernisierung und Mechanisierung in der Kulturführung und der Einsatz von Wuchsstoff-Herbiziden halfen, die „Handarbeit“ zu reduzieren und die Erträge bis zu 30 Prozent zu erhöhen. Mussten Pflanzenschutzmittel zunächst lediglich amtlich registriert werden, wurde mit dem Pflanzenschutzgesetz im Jahr 1968 deren Zulassung erst nach einer umfassenden amtlichen Prüfung möglich. Noch gab es eine Vielzahl von Unternehmen, die als Entwickler und Hersteller dieser Mittel am Markt zu finden waren. Ziel der Neuregelung war zudem ein vorbeugender Verbraucherschutz, der Eckdaten im Hinblick auf die Toxikologie, die Höchstmengen und die Gefahrenschwellen setzte.
Die Jahre zwischen 1970 und 1980 benennt Dr. Schlüter als „Zeit des Optimismus“, in denen sowohl die Düngung als auch der Pflanzenschutz – teilweise über das notwendige Maß hinaus – intensiviert wurden. Verschiedene Anbausysteme wurden entwickelt, Kulturabläufe neugestaltet. Der zu dieser Zeit oft unkritische Einsatz von Pflanzenschutzmitteln führte in seiner Konsequenz auf breiter Front zu unterschiedlichen Resistenzen und damit zu neuen Herausforderungen an die Gesunderhaltung der Pflanzenbestände.
In den Jahren 1980 bis 1990 wurde die Ausrichtung der Pflanzenschutzmaßnahmen dem zunehmenden Umweltbewusstsein angepasst, die Ziele des Einsatzes von Wirkstoffen überprüft und verändert, nachdem deutlich wurde, dass sich Rückstände im Grund- und im Trinkwasser wiederfinden ließen. Der Pflanzenschutz gerät in die öffentliche Kritik. Mit der Novelle des Pflanzenschutzgesetzes im Jahr 1986 wird erstmals das Bundesumweltamt in das Zulassungsverfahren mit eingebunden und erhält ein Veto-Recht. Die zu erbringende „Sachkunde im Pflanzenschutz“ und die Gerätekontrolle, die nach wenigen Jahren verpflichtend wird, werden eingeführt. Parallel dazu wird die Trinkwasserverordnung um Aspekte zum Pflanzenschutz ergänzt und bezogen auf die eingesetzten Wirkstoffe Grenzwerte eingeführt. Diese orientieren sich an den Möglichkeiten der vorhandenen Analysetechnik.
Ab 1990 beginnt die Phase der „Ökonomisierung“, das heißt die Aufwandsmengen werden – dem Bedarf entsprechend – sowohl bei der Düngung als auch beim Pflanzenschutz – reduziert. Die EU übernimmt die Federführung bei der Gesetzgebung und sorgt 1991 für eine Harmonisierung des Regelwerkes innerhalb Europas. Die Einführung der Indikationszulassung sorgt für eine zusätzliche Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten vorhandener Mittel.
Im Jahr 2009 wird seitens der EU die Pflanzenschutzverordnung VO 1107/2009 erlassen, die für den gesamten EU-Raum Gültigkeit erhält. 2012 erfolgt die Umsetzung in Form einer Neuordnung des Pflanzenschutzgesetzes in deutsches Recht. Die Prüfung, Zulassung beziehungsweise Bestätigung – nunmehr von Wirkstoffen – erfolgt jetzt in einem gemeinsamen EU-Verfahren unter Berücksichtigung des „Null-Risiko-Prinzips“ unter anderem auch nach den Vorgaben des Chemikalienrechts. Die Folge ist, dass kaum mehr Neuentwicklungen beziehungsweise vorhandene Wirkstoffe zur Neubewertung angemeldet werden. In der EU werden sogenannte „Pestizide“ auf breiter Front als unerwünschte Stoffe eingeordnet. Aktuelles Ziel der EU ist es, den Einsatz von Wirkstoffen im Pflanzenschutzbereich ab 2023 auf Basis der Aufwandmengen der Jahre 1977 bis 2021 um 50 Prozent zu reduzieren. Dies gilt gleichermaßen für Herbizide, Insektizide und Fungizide.
Aus Sicht Schlüters wird der vorhandene Sachverstand bei den Verordnungs- und Gesetzgebungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Vielmehr richtet man sich hier nach dem „Mainstream“, was bei entsprechender Umsetzung dazu führen könnte, dass beispielhaft die Ertragsmengen der hiesigen Weizenproduktion um 19 Prozent, der Kartoffelernten sogar bis zu 42 Prozent zurückgehen würden. Der vielfach auf Emotionen basierenden Beurteilung der Landwirtschaft ist eine sach- und fachgerechte Öffentlichkeitsarbeit entgegenzusetzen, die verdeutlicht, dass der Einsatz von Mitteln zum Erhalt der Pflanzengesundheit notwendig und – dank eines umfangreichen Regelwerkes – im Hinblick auf die menschliche Gesundheit als unbedenklich einzustufen ist.
Die Suche nach Alternativen, die helfen, den aktuellen Wirkstoffeinsatz weiter zu reduzieren, geht weiter. Lösungsansätze sind vorhanden, die Hürden bleiben nach wie vor hoch. Ein Umdenken ist notwendig, auch in der Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit. Es muss deutlich werden, was die Praxis leisten kann und warum auf einige Kulturmaßnahmen nicht verzichtet werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch die Wortwahl zu überprüfen. So geht es beim Pflanzenschutz – oder auch beim Krankheits- und Schädlingsmanagement – des Unternehmens nicht um die „Schädlingsbekämpfung“ – sondern vielmehr um die „Erhaltung der Pflanzengesundheit“. Hierzu werden keine „Pestizide“, sondern „Pflanzen-Medizin“ eingesetzt. Dennoch: in Zukunft wird die Feldspritze weiterhin benötigt, auch wenn die Kulturen in Richtung „Bio“ und „Öko“ umgestellt werden.
Um zu zeigen, dass man seitens der Baumschulen bereits erste Schritte zur Reduzierung von chemischen Komponenten in der Gehölzkultur gemacht hat, wurden drei Baumschulunternehmer geladen, um über „ihren Weg“ hin zur „Ökoproduktion“ in Kurzvorträgen zu berichten. Ohne damit die Orientierung an der Realität zu verlieren, sollen hiermit Denkanstöße gegeben werden.