Pandemiezeiten überdurchschnittlich gut überstanden
Die Grüne Branche ist alles in allem gut durch die Pandemie gekommen. Die Nachfrage nach Blumen und Pflanzen nahm aus bekannten Gründen sogar kräftig zu, dementsprechend auch die Umsätze. Voller Euphorie wurde an vielen Stellen die Produktion etwa für Beet- und Balkonpflanzen, Gemüsejungpflanzen, Kräuter und Co. hochgefahren. Dann jedoch kam alles anders. Am 24. Februar 2022 begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der schon vorher sich abzeichnende Preisauftrieb, insbesondere für Energie, kam so richtig in Fahrt, im Schlepptau kletterte die Inflationsrate auf annähernd acht Prozent. Da die Lohnentwicklung insgesamt der Inflation hinterherhinkt, ist ein Kaufkraftschwund unvermeidlich. Die Situation drückt zumindest in weiten Bevölkerungskreisen auf die Kaufstimmung. Hinzu gesellen sich die täglichen, destruktiven Meldungen über den Kriegsverlauf in der Ukraine mit all seinen negativen Auswirkungen.
Verlauf der Beet- und Balkonsaison für viele „unbefriedigend“
In diesem Umfeld spielte sich auch der Geschäftsverlauf der diesjährigen Beet- und Balkonsaison ab. Er verlief für viele Unternehmen „unbefriedigend“. Die Umsätze der Jahre 2020 und 2021 wurden nicht erreicht, konnten auch gar nicht erreicht werden. Die Ware floss nicht wie geplant ab. Hinzu kamen noch die unausweichlichen Preisanpassungen. Sie fallen gerade in eine Zeit, in der die Konsumenten inflationsbedingt weniger Geld für nicht unbedingt lebensnotwendige Dinge zur Verfügung haben.
An dieser Stelle jedoch wird ein Phänomen deutlich, das als eine ziemlich gespaltene Verhaltensweise vieler Konsumenten zu bezeichnen ist. Denn während sich Politiker im Rahmen einer konzertierten Aktion über zielgerichtete Entlastungspakete ob der enormen Mehrbelastungen der Bürger, vor allem in puncto Gasversorgung, Gedanken machen, stehen laut Pressemeldungen im Juli 200.000 Reisende pro Tag am Frankfurter Flughafen und warten auf ihre Abfertigung. Ebenso wird von überfüllten Volksfesten berichtet. Auch mit den nach Corona wieder möglichen Reisen in alle Welt ist ein Geldabfluss verbunden, der freilich in den Kassen des hiesigen Einzelhandels fehlt. Aus der Textilbranche etwa ist zu hören, dass sie umsatzmäßig noch nicht auf dem Niveau von 2019 angelangt ist.
Umsatz 2019 als tatsächlicher Vergleichsmaßstab
Genau dieser muss zur Beurteilung der aktuellen Umsatzleistung 2022 herangezogen werden. Nach eigenen Erhebungen in elf Einzelhandelsgärtnereien im süddeutschen Raum liegt sie im Mai 2022 mit durchschnittlich 30 Prozent über Mai 2019. Dies zumindest ist ein positives Signal. Jedoch Vorsicht: Im betriebswirtschaftlichen Rechnungswesen ist eher der Rohertrag die aussagekräftige Leistungsmesszahl. Hierbei handelt es sich um den Umsatz abzüglich Wareneinsatz. In Anbetracht der massiven Betriebsmittelsteigerungen muss dieser um gut 15 bis 20 Prozent über dem Wert von 2019 liegen, um am Ende des Tages ein etwa ähnliches Betriebsergebnis zu erzielen wie 2019.
Tatsächlich steht der gärtnerische Einzelhandel, einschließlich der Gartencenter-Betreiber nach dem Saisongeschäft noch recht gut da. Sicherlich auch zurückzuführen auf die Möglichkeit, flexibel und nachfrageorientiert Ware zu ordern.
Wie auf die sich abzeichnende Gesamtsituation reagieren?
Dies ist eine Frage, die derzeit alle, Werktätige, Unternehmer, Rentner sowie die politisch Verantwortlichen bewegt. Leider fließen dabei eine ganze Reihe von Unbekannten mit ein, sodass Handlungsalternativen immer wieder neu justiert werden müssen. Trotz aller Unsicherheit hier einige Denkansätze, die speziell im gärtnerischen Einzelhandel und in der Gartencenter-Branche im Krisenszenario Relevanz besitzen:
► In puncto Warenbezug sind gerade jetzt faire, partnerschaftliche Umgangsgepflogenheiten wichtiger denn je. Dies bezieht sich auch auf Preisgestaltungen. Denn alle Beteiligten entlang der Lieferkette sitzen im gleichen Boot. Einkaufs-Hopping erweist sich jetzt möglicherweise als Bumerang.
► Preisanpassungen im eigenen Unternehmen sind unausweichlich. Jedoch kann sich ein „kräftiger Schluck aus der Pulle“ ebenfalls als Bumerang erweisen, wenn die neuen Preise eine überproportionale Kaufzurückhaltung auslösen. Vonseiten des Bäcker- und Metzgerhandwerks ist beispielsweise vernehmbar, dass die Mehrkosten leider nicht voll auf die Preise umgelegt werden können. Nichtsdestotrotz, unterm Strich braucht auf Dauer jedes Unternehmen schwarze Zahlen.
► Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Verteuerung aus bekannten Gründen, haben Kunden ein gewisses Verständnis für nachvollziehbare Preisanpassungen. Dennoch können sie zu einem Mengenrückgang führen. Die Dreiecksbeziehung Preisanpassung, Kundenverhalten und Rohertragsentwicklung ist folglich genau ins Visier zu nehmen.
► Was die Sortimentspolitik betrifft, so gilt es, sogenannte Renner und Penner zu identifizieren mit dem Ziel, erstere zu forcieren und letztere aus dem Programm zu verbannen.
► Alle Arbeitsprozesse und Abläufe sind auf den Prüfstand zu stellen. Womöglich lässt sich da und dort die Arbeitseinsatzplanung noch optimieren.
► Besonders vorrangig ist der Energiebereich mit Strom und Heizung unter die Lupe zu nehmen. Wo und wie kann Heizmaterial noch effizienter eingesetzt werden, wobei Wirkungsgradkontrollen, Steuerungsmechanismen sowie auch Dämmmaßnahmen mit einzubeziehen sind.
► Einzelne Geschäftszweige müssen auf ihre Rentabilität hin untersucht werden. Notfalls werden Umstrukturierungen erforderlich, oder aber es steht die komplette Aufgabe des Geschäftszweiges unter dem Aspekt „Gesundschrumpfung“ zur Disposition. Andererseits ist auch die Hinzunahme einer Abteilung Gartengestaltung, Gartenpflege und Gartenbepflanzungsservice in Erwägung zu ziehen. Bereits etliche Einzelhandelsgärtnereien haben diesen Weg mit Erfolg eingeschlagen.
► Speziell Einzelhandelsgärtnereien bieten diverse Dienst- und Serviceleistungen an, für die ebenfalls neue Preise kalkuliert werden müssen, oder die in dem ein oder anderen Falle sogar jetzt neu in Rechnung zu stellen sind.
► Auch sämtliche Maßnahmen, die eine Nachfragesteigerung generieren können, sind in den Blick zu nehmen. Es geht letztlich um die Erweiterung des zu verteilenden Kuchens, wobei der Aspekt Kundenfrequenzsteigerung in den Fokus rückt. Sicherlich eine nicht einfache Aufgabe, die von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich betrachtet und bewertet wird. Eine ausführlichere Behandlung des Themas würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Erwähnt werden müssen in diesem Kontext jedoch Aktivitäten hinsichtlich der Außendarstellung der Firma im Einzugsbereich, der Innovationsbereitschaft sowie einer Sortimentsgestaltung, die dem Zeitgeist entspricht, etwa in Bezug auf Werte wie „Bio“, „Regio“, „Öko“, Klima-, Natur- und Artenschutz. Aktivitäten auf diesem Terrain zahlen sich jedoch nur dann aus, wenn sie, ohne Greenwashing zu betreiben, glaubhaft und authentisch kommuniziert werden.
Fazit
Selbst unter den derzeit außerordentlichen Rahmenbedingungen wird das Grundprinzip von Angebot und Nachfrage nicht außer Kraft gesetzt, obwohl der Staat jetzt, in der wohl schwersten Krise nach dem zweiten Weltkrieg, durch vielerlei Transfermaßnahmen lenkungswirksam eingreift. Dennoch, selbst ein reiches Land wie das unsrige kann nicht alle krisenbedingten Folgen ausgleichen.
Entscheidend für unsere Branche wird sein, inwieweit sich die Nachfrage nach Blumen und Pflanzen auf bisherigem Niveau halten lässt, trotz Preisauftrieb einerseits und Kaufkraftschwund andererseits, ganz zu schweigen von den Dilemmas um den Ukrainekrieg, einer ausreichenden Gasversorgung für die kommende Heizperiode und der noch schwelenden Corona-Pandemie. Gleichwohl dürfen Maßnahmen zur Kundenfrequenzsteigerung nicht vernachlässigt werden. Gerade in schwierigen Zeiten sehnen sich viele Zeitgenossen nach einem gediegenen Zuhause, nach schönen Blumen und Pflanzen, vor allem auch Genusspflanzen. Deshalb ist es notwendig, Kunden immer wieder aufs Neue einen Grund zu geben, das Gartencenter oder die Einzelhandelsgärtnerei aufzusuchen, auch außerhalb von Saisonzeiten. Nicht zuletzt auch mittels Sonderveranstaltungen oder Themenschwerpunkten.
Gesellschaftsübergreifend betrachtet haben Blumen und Pflanzen seit der Pandemie an Wertschätzung gewonnen. Die Beschäftigung mit Grün in seinen vielen Facetten ist für weite Bevölkerungskreise sinnstiftend. Nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich wird sich die Devise „Mehr Grün“ weiter durchsetzen. Schon jetzt leistet jeder Quadratmeter Grün in Großstädten einen Beitrag für mehr Artenschutz sowie verbesserte Lebensräume für Mensch und Tier. In Darmstadt beispielsweise existieren bereits über 60 Blühpatenflächen, auf denen Privatbürger Pflanzen hegen und pflegen, um ihre Stadt grüner, blühender, einfach lebenswerter zu gestalten. Sicher wird es ähnliche Projekte auch in anderen deutschen Städten geben. Sie zeigen, dass unsere grünen Produkte eine hohe Relevanz in der Gesellschaft besitzen. Das Bewusstsein dafür darf aber gerne auch in schwierigen Zeiten noch weiter geweckt werden, um da und dort noch schlummernde Potenziale zu erschließen.