Vorsichtiger Optimismus im Pflanzenhandel
Volle Gasspeicher, sicherere Stromversorgung, etwas gesunkene Energiepreise und die Energiepreisbremse der Regierung mit der Deckelung der Strom- und Gaspreise lassen einen vorsichten Optimismus aufkommen. Hinzu kommen die bislang für einen Winter recht milden Temperaturen, die per se Energie sparen und – nicht zu vergessen – die sich deutlich abschwächende Corona-Pandemie mit auslaufenden Einschränkungen. Positiv ist ferner ein bislang stabiler Arbeitsmarkt und nicht zuletzt die Tatsache, dass unsere Gesellschaft insgesamt, trotz geopolitischer Krisenstimmung durch den Ukraine-Krieg, zusammensteht. Keineswegs unbedingt selbstverständlich in Anbetracht der destruktiven Nachrichten Tag für Tag.
Nicht zuletzt ist der vorsichtige Optimismus im Pflanzenhandel auch zurückzuführen auf das bislang recht stabile Umsatzniveau, zumindest realistisch gemessen am Referenzjahr 2019. Das zeigt, dass der Faktor lebendes Grün einen hohen Stellenwert auch bei stark angespannten Konsumentenbudgets genießt und dass Menschen auf vielerlei, vornehmlich emotionale Wohlfühleffekte nicht zuerst verzichten möchten. Dennoch, die Sorgen in Unternehmen und ebenso in der sonstigen Bevölkerung sind groß ob der Frage: Wie über die Runden kommen?
Im Folgenden einige relevante Aspekte, Vorkehrungen, Handlungsalternativen und Checkpunkte, die in den skizzierten Wertschöpfungsstufen vom Jungpflanzenbetrieb über den Produzenten, den Groß- und Einzelhandel bis hin zum Konsumenten, unter den momentanen Gegebenheiten in Betracht zu ziehen sind. Sie basieren auf eigenen Marktbeobachtungen und zahlreichen Gesprächen mit Unternehmern in Produktion und Vermarktung.
Bereich Jungpflanzen-Unternehmen
Momentan gehen, wie zu vernehmen ist, die Aufträge doch zögerlicher ein als gewöhnlich. Wenn die Prognosen vom Sommer 2022 tatsächlich zutreffen sollten, wird in Unternehmerkreisen mit einer Reduzierung der verkauften Stückzahlen von Beet- und Balkonpflanzen gerechnet. Von fünfzehn bis sogar zwanzig Prozent war die Rede, könnte aber doch moderater ausfallen. Trotz aller Unwägbarkeiten besteht die Aufgabe der Jungpflanzenfirmen darin, ihre Kunden termingerecht mit Jungpflanzen in einwandfreier Qualität zu versorgen. Darüber hinaus gilt es, ganze Verkaufskonzepte zu entwickeln, um den Absatz ihrer Kunden zu fördern. Dies beginnt bei gut ausgearbeiteten Kulturfahrplänen bis hin zu Werbemitteln am POS. Hinzu kommt die Implementierung von funktionsfähigen Neuheiten, aber auch Verkaufsideen für die Produzenten, was für eine Marktbelebung gerade in schwierigen Zeiten und bei knappen Budgets der Konsumenten unverzichtbar ist.
Zusätzliche Alternativen und Checkpoints im derzeitigen Krisenszenario:
⇒ Basis ist das Reflektieren auf den eigenen Status im Hinblick auf den Erhalt einer stabilen, auch zukunftsorientierten Renditestruktur und zeitgemäßen Firmenphilosophie.
⇒ Erarbeitung und Zusammenstellung von Kulturprogrammen zur Energieeinsparung.
⇒ Mehr Augenmerk auf temperaturtolerante Sorten legen und Vorhandenes herausstellen.
⇒ Erarbeitung von einzelnen, angepassten Kulturfahrplänen (Stichwort „Kaltkulturverfahren“).
⇒ Gleiches gilt für Sorten mit schnellerer Entwicklungszeit (Stichwort „Schnellkulturverfahren“).
⇒ Sorten herausstellen, die bei einer ansprechenden, marktkonformen Qualität, einen höherem Flächenbesatz erlauben.
⇒ Aufnahme oder Erweiterung des Rohwarenangebots für Produzenten, die aus Energiespargründen im Frühjahr später mit der Kultur beginnen wollen.
⇒ Vorreiterrolle bei der Entwicklung von Neuheiten und neuer Verkaufskonzepte stabilisieren, ja, sie sogar weiter ausbauen.
Bereich Pflanzenproduzenten
In der momentanen Situation stehen Pflanzenproduzenten vor den größten Herausforderungen, denn sie sind gezwungen, in einer unberechenbaren Gemengelage, Monate im Voraus richtige Entscheidungen zu treffen. Ohne einen kräftigen Schuss Optimismus wohl kaum zu bewältigen. Und in der Tat, nicht alle werden überleben. Der schon vor Krisenzeiten stattfindende Schrumpfungsprozess wird sich weiter beschleunigen. Möglich, dass sich dadurch hierzulande die Produktionskapazitäten besser auf die Nachfrage ausrichten. Aber nur dann, wenn nicht die Übriggebliebenen massiv die Lücken füllen.
Aus wirtschaftlichen Gründen werden laut Hagelversicherung nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Niederlanden und in Frankreich eine wachsende Anzahl an Gewächshausflächen stillgelegt. Das Statistikamt Nord berichtet, dass die Zahl der Gartenbaubetriebe in Hamburg von 2010 bis 2020 um ein Drittel zurückging. Ruud Knorr, CCO Royal Flora Holland, sieht momentan noch die Basis, was die Gesamtflächen unter Glas anbelangt, als intakt an.
Alternativen und Checkpoints im derzeitigen Krisenszenario:
⇒ Vordringlich geht es um die Energieversorgung für die Produktionsflächen, sowohl was die Sicherheit als auch die Bezahlbarkeit anbelangt.
⇒ Alles, was dazu beiträgt, Energie einzusparen, ist auf den Prüfstand zu stellen. In jedem Betrieb gibt es viele kleine und mittlere Stellschrauben, die in Summe wirken, ohne allzu große Investitionen tätigen zu müssen, angefangen bei der Wärmedämmung bis hin zur Umstellung auf LED-Beleuchtung.
⇒ Umstellungen der Heizung auf Energieträger wie Pellets oder Holzhackschnitzel sind kurzfristig nicht realisierbar. Sie erfordern beachtliche Investitionen, die einer genaueren Rentabilitätsprüfung zu unterziehen sind.
⇒ Ferner sind Fragen von Kulturprogrammen, -terminierungen und -ablaufprozesse neu zu überdenken (siehe auch Stichpunkte in der Rubrik Jungpflanzen-Unternehmen).
⇒ Alle Maßnahmen sind stets unter den erforderlichen Qualitätsansprüchen der jeweiligen Absatzschiene zu betrachten.
⇒ Bedingt durch den massiven Kostenauftrieb, müssen Verkaufspreise neu kalkuliert und den Gegebenheiten möglichst angepasst werden. Eine volle Weitergabe der gestiegenen Kosten gelingt dem Vernehmen nach nicht in jedem Fall, ist jedoch logischerweise mittel- und langfristig unabdingbar. Von Blumengroßmarktbeschickern wird berichtet, dass ihre Kundschaft weitgehend höhere Preise akzeptiert. Bei Beet- und Balkonpflanzen liegen sie durchschnittlich im absolut notwendigen, zweistelligen Prozentbereich.
⇒ Natürlich kursiert in der Praxis immer wieder das Totschlagargument, dass Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, eigene Kalkulationen schnell unter dem aktuellen Marktgeschehen ihre Gültigkeit verlieren. Bei verderblicher Ware natürlich zutreffend. An der Deckung eigener Grenzkosten am Ende des Tages führt jedoch kein Weg vorbei.
⇒ Wichtiger denn je ist, eine Markenstrategie zu entwickeln als leistungsfähiger Anbieter und zuverlässiger, aber auch innovativer Partner, der sich auch die gesellschaftlich relevanten Zielvorgaben in Sachen Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Natur- und Umweltschutz auf die Fahne schreibt und dies mit entsprechender Zertifizierung unterstreicht.
⇒ Aufgrund der sehr heterogenen Betriebs- und Absatzstrukturen ist die Umsetzbarkeit von Maßnahmen von Fall zu Fall zu prüfen.
Bereich Pflanzengroßhandel
Auch diese Wertschöpfungsstufe ist vom Krisenszenario betroffen. Sie ist als Vertriebspartner ein Mittler zwischen Produzent und Einzelhandel. Auch hier gilt, dass es nicht „den Pflanzengroßhandel“ gibt, sondern mehrere Vertriebsformen, vom familiengeführten Einzelunternehmen über Erzeugergenossenschaften mit zentralem oder mit dezentralem Vertrieb, wie dies für die klassischen Blumengroßmärkte zutrifft. Insofern sind die vertrieblichen Wege unterschiedlich ausgerichtet, auch mit Partnerschaften, die über die Fachhandelsschiene hinausreichen. Damit einher gehen unterschiedliche Anforderungen und Ansprüche. Trotz allem gibt es grundlegende Entwicklungen, die den Krisenzeiten geschuldet sind oder sich dem Zeitgeist folgend weiter manifestieren.
Alternativen und Checkpoints im derzeitigen Krisenszenario:
⇒ Corona-bedingt beflügelt, werden Einkäufe immer häufiger online abgewickelt, wodurch 24/7-Ordergeschäfte möglich werden.
⇒ Perspektivisch stellt man sich auf eine positive Entwicklung vor allem für Saisonpflanzen einschließlich Kräuter und Fruchtgemüsejungpflanzen ein.
⇒ Lieferengpässe bei Pflanzen werden für 2023 kaum mehr erwartet.
⇒ Aus Gründen der Energieeinsparung im Produktionsbereich, dürfte sich der Start in die Saison mit Pflanzware um ein bis zwei Wochen verzögern, wobei allerdings auch die Wetterverhältnisse eine nicht unerhebliche Rolle spielen.
⇒ Dementsprechend könnten vorgezogenen Partien auf Kosten der Pflanzenqualität gehen.
⇒ Allgemein nimmt der Vertragsanbau zu, frei verfügbare Mengen tendieren rückläufig.
⇒ Sortimentszusammensetzung, Produktqualität und Pricing müssen sorgfältig nachfrageorientiert abgestimmt werden, was sich unter Krisenzeiten bedeutend schwieriger gestaltet. Dabei ist eine offene, vertrauensvolle, verbindliche Partnerschaft unerlässlich.
⇒ Um dem wachsenden Bewusstsein für ein verantwortungsvolles Wirtschaften Rechnung zu tragen, wird eine Zertifizierung durch eine anerkannte Zertifizierungsorganisation für die beteiligten Akteure in naher Zukunft zum Standard.
⇒ Allgemein sieht man zur Nachfragesteigerung ein verstärktes Inszenieren der Ware in Form von Themenwelten auf Partnerseite. Zutreffend zumindest für den Facheinzelhandel, um so dem von vielen Marketern geforderten Erlebniseinkauf mit Inspirationen am POS zu forcieren. Genau hier ist noch viel Potenzial nach oben offen.
⇒ Andererseits lässt sich aber auch eine Befürwortung für eine rein konsumtive Warendarstellung erkennen, wobei das Pflanzenangebot für sich wirken muss.
Bereich Einzelhandel
Ein Pflanzenverkauf findet bekanntlich auf vielen Ebenen und in vielen Branchen des Einzelhandels statt. Er lässt sich grob einteilen in den Absatz über LEH-Märkte und Discounter einerseits und dem Fachhandel wie Gartencenter, Einzelhandelsgärtnereien und Blumengeschäfte andererseits. Eine Zwischenstellung nehmen Gartencenter-Abteilungen von Baumarktketten ein. In der nachfolgenden Betrachtung geht es in erster Linie um Auswirkungen der aktuellen Gesamtlage und ihre Reaktionen im familiengeführten Facheinzelhandel.
Was schwerpunktmäßig den Pflanzenhandel anbelangt, so hat das Krisenjahr 2022 trotz vieler Befürchtungen bezüglich der eingetrübten Konsumstimmung zu keinen massiven Umsatzrückgängen geführt. Die Umsätze liefen zwar auf einem etwas geringeren Niveau als in den Corona-bedingten Ausnahmejahren 2020 und 2021, sie lagen aber deutlich über dem sehr guten Referenzjahr 2019. Eigene Auswertungen in elf Einzelhandelsgärtnereien im süddeutschen Raum zeigten in 2022 gegenüber 2019 ein zweistelliges Umsatzplus. Diesbezüglich lag das Gros der Betriebe sogar deutlich über zwanzig Prozent. Die Zahlen lassen trotz aller Unwägbarkeiten auch für 2023 auf eine weitgehend stabile Absatzlage schließen.
Alternativen und Checkpoints im derzeitigen Krisenszenario:
⇒ Der Fachhandel kann insgesamt auf eine treue Kundenzielgruppe bauen.
⇒ Der überwiegende Teil der Kundschaft zeigt durchaus Verständnis für notwendige Preisanpassungen.
⇒ Kernthema ist dennoch die Gestaltung kostendeckender Preise unter Beibehaltung der dafür notwendigen Kundenakzeptanz. Nicht in jedem Fall können höhere Kosten vollumfänglich weitergegeben werden. Insofern bestehen vielfach Bedenken bezüglich der Realisierbarkeit kostendeckender Preise.
⇒ Die Hauptprobleme der Preisanpassung liegen bei den leicht vergleichbaren Massenprodukten. Weniger ausgeprägt stellen sie sich bei Neuheiten, Besonderheiten sowie bei veredelter Ware und verarbeiteten Produktideen dar, die noch viele Potenziale bieten.
⇒ Eine nennenswerte Abwanderung der Kunden hin zu Billiganbietern wurde bislang nicht beobachtet.
⇒ Bei Maßnahmen zur Energiekosteneinsparung stehen vor allem Dämmmaßnahmen, Verkaufsflächenkonzentrationen, Raumtemperaturabsenkungen und Senkung der Beleuchtungskosten im Fokus. In Einzelhandelsgärtnereien soll die Eigenproduktion weitgehend beibehalten werden. Ein verstärkter Rohwarenzukauf steht zur Diskussion, vor allem aber ein späterer Kulturbeginn.
⇒ Die Bedeutung von Regionalität, Artenschutz, Plastikvermeidung, Nachhaltigkeit allgemein wächst weiter.
⇒ War dem Thema Werbung und Absatzförderung in Corona-Zeiten weniger Beachtung geschenkt worden, müssen nun diese Aspekte wieder mehr in den Vordergrund rücken. Es geht insbesondere darum, die junge Zielgruppe, vor allem auch über soziale Medien anzusprechen. Fakt ist, dass ein Hauptproblem für mehr Wachstum in unserer Branche darin liegt, dass die Kundenfrequenz im besten Falle stagniert, sich aber eher rückläufig entwickelt. Bisher konnte der steigende Umsatz pro Kunde kompensierend ausgleichen.
⇒ Konsequenterweise führt dies zu dem vielschichtigen Thema einer aktiven Nachfragesteigerung, mit Kreativität, Engagement und dem Herausstellen eigener Stärken. Gerade in Zeiten knapper Konsumentenbudgets gilt es, auch mit dem Initiieren von besonderen Kaufimpulsen Nachfrage zu wecken.
⇒ Nicht zuletzt geht es um die Rekrutierung von Fachpersonal für all die notwendigen Aufgaben, was sich offensichtlich in Zeiten des allgemeinen Personalmangels in vielen Branchen als ein schier unlösbares Unterfangen erweist.
Konsumenten
Sie stehen als letztes, aber wichtigstes Glied auf der obersten Wertschöpfungsstufe. Derzeit ist die Stimmung aufgrund bekannter Negativeinflüsse verhalten, angeführt durch die extrem gestiegenen Energiepreise. Sie wurde zwar durch die Energiepreisdeckel der Regierung etwas aufgehellt. Dennoch, die Energiepreise drücken aufs Budget. Hinzu kommen weitere Steigerungen der Lebenshaltungskosten. Insgesamt bewegt sich die Inflation auf Rekordniveau. Laut Statistischem Bundesamt beträgt die Inflationsrate 2022 voraussichtlich 7,9 Prozent. Prognosen für 2023 gehen von leicht sinkenden Werten in Richtung 6,5 Prozent aus. In der Regel durch Lohnsteigerungen nicht voll kompensierbar. Insofern kommt es zu realen Einkommensverlusten. Demzufolge steht weniger frei verfügbares Geld zum Konsumieren von nicht lebensnotwendigen Gütern, Dienstleistungen und sonstigen Betätigungen zur Verfügung.
Keine Frage, für bestimmte Einkommensgruppen werden Pflanzen zur Verschönerung des eigenen Heims dadurch weniger erschwinglich. Dennoch, selbst hier gehören sie keinesfalls zum Luxuskonsum, sondern sind ein Stück weit Kulturgut, unverzichtbar für Wohlfühlambiente und Heimeligkeit. Ihr Wert liegt nicht auf der rationalen, sondern emotionalen Ebene. Genau diese Werte sind beim Handel mit Pflanzen gerade in Krisenzeiten noch verstärkt anzusprechen, um das Geschäft auch in 2023 am Laufen zu halten.