Herr Mann, was erwartet die Besucher auf dem Weltkongress?
Dr. Gunter Mann: Eine Menge – geplant sind rund 90 Vorträge in fünf parallel verlaufenden Vortragsreihen am 27. und 28. Juni zu aktuellen Themen rund um Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünungen. Zusätzlich gibt es Impulsvorträge, insgesamt werden damit über 100 Referenten und Referentinnen aus 29 Ländern erwartet. Inhaltlich wird es dabei unter anderem um Klimaanpassungsstrategien, nachhaltiges Bauen, Regenwasserbewirtschaftung, Biologische Vielfalt, städtische Strategien zur Gebäudebegrünung und Architektur- und Praxisbeispiele gehen. Und auch die Politik ist mit dabei: Grußworte gibt es von der Bundesbauministerin Klara Geywitz und der Staatssekretärin Dr. Silke Karcher von der Berliner Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz. Und in den Impulsvorträgen erwarten wir etwa den Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven (KöBogen 2) und den weltweit bekannten französischen Botaniker Patrick Blanc. Am dritten Tag (29. Juni) finden Exkursionen zu verschiedenen Berliner Objekten statt. Hier ist die Teilnehmendenzahl begrenzt und erste Exkursionen sind schon ausgebucht.
Dachbegrünungen haben inzwischen eine lange Tradition, die Technik ist ausgereift. Neu hinzu kommen Aufsehen erregende „Leuchtturmprojekte“, bei denen Hochhäuser und ganze Gebäudekomplexe intensiv begrünt werden. Das allerdings erfordert einen großen technischen Aufwand, beim Bau aber auch später in der Pflege. Sind solche Projekte wirklich die Lösung – oder brauchen wir nicht vielmehr einfachere Lösungen auf möglichst vielen Dächern?
Dr. Gunter Mann: Wir benötigen beides – die Aufmerksamkeit erregenden und werbewirksamen Leuchtturmprojekte und die breite Masse an „einfacheren“ Projekten. Mit den Begrünungen in große Höhen, auf großen Flächen oder besonderer Nutzungen zeigen wir, dass wir es bau- und vegetationstechnisch können, und damit schaffen wir es auch, ins Fernsehen zu kommen. Man nimmt die Gebäudebegrünung wahr und greift nicht mehr auf Beispiele aus dem Ausland zurück. Ein wichtiger Schritt dahin, dass die breite Bevölkerung mit Dach- und Fassadenbegrünung in Berührung kommt und sie als „machbar“ und auch ein stückweit als „selbstverständlich“ wahrnimmt.
Wir begrünen derzeit in Deutschland jährlich fast neun Millionen Quadratmeter Gründach – weltmeisterlich! Und dennoch sind das nur etwa zehn Prozent der neu hinzukommenden Flachdachflächen. Und für die Funktionen „Überflutungs- und Hitzevorsorge“ und „Artenschutz“ benötigen wir in der Tat noch viel mehr begrünte Dach- und Fassadenfläche. Doch wir sind auf dem richtigen Weg!
Das Bauen gerade in den Städten wird derzeit immer teurer und ist damit für viele private Bauherren kaum mehr finanziell zu stemmen. Für die Städte wird es angesichts der aktuellen Themen Flächenversiegelung, Hitzebelastung und Überflutungsvorsorge immer wichtiger, dass unter anderem Gebäude und Tiefgaragen begrünt werden und zusätzliche Funktionen erfüllen können. Eine Möglichkeit ist es, hier über Förderprogramme den Anreiz zu erhöhen. Wie ist hier der Stand – in Deutschland aber auch in anderen Ländern?
Dr. Gunter Mann: Wir haben verschiedene kommunale Förderinstrumente, die von den Städten immer öfters eingesetzt werden. Das sind beispielsweise die direkte Förderung mit finanziellen Zuschüssen, die bei der Dachbegrünung fast die Hälfte der Städte über 50.000 Einwohner haben oder indirekt über Festsetzungen in Bebauungsplänen; das geben fast 90 Prozent der Städte über 50.000 Einwohner für Dachbegrünungen und über 60 Prozent für Fassadenbegrünungen vor. Dennoch wäre es hilfreich, wenn die Städte durch Förderungen des Landes oder des Bundes unterstützt und die Zuschüsse für die Begrünungen höher wären. Auch wer freiwillig mehr macht als er laut B-Plan tun müsste, PV mit Dachbegrünung kombiniert oder begehbare und nutzbare Dächer der Öffentlichkeit anbietet, sollte besonders unterstützt werden.
Richtig ist aber auch: in Deutschland sind eine Vielzahl an kommunalen Förderinstrumenten vorhanden, dennoch werden die bereitgestellten Gelder gar nicht abgerufen – auch da müssen wir ansetzen. Wir müssen schauen, dass wir nicht nur Neubauten, sondern vor allem auch Bestandsgebäude begrünen. Die Zuschüsse, und damit die Anreize, sollten erhöht werden, gegebenenfalls die Pflege berücksichtigen und vor allem im Bestand auch leichtere Begrünungsvarianten zulassen. Die Kombination Photovoltaik und Dachbegrünung, sogenannte Solar-Gründächer, müssen viel stärker als Pflicht gefordert oder über extra Zuschüsse gefördert werden. Ich würde behaupten, dass es im Ausland hier und da gute städtische Konzepte gibt, doch flächendeckend bundesweit das Thema fordern und fördern bringen vor allem die deutschsprachigen Länder hin.
Neben Förderprogrammen könnte ein weiterer Weg auch darin bestehen, Dachbegrünungen als mögliche Ausgleichsflächen anzuerkennen – und also Gelder aus den Ökokonten oder ähnlichem in Dachbegrünungen zu leiten. Wie ist hier der Stand?
Dr. Gunter Mann: Es gibt in einigen Bundesländern, etwa in Baden-Württemberg, sogenannte „Ökopunkte“ und „Flächenagenturen“, die damit handeln. Abhängig vom Verfahren des Bundeslandes und den zuständigen Naturschutzbehörden kann einer Gebäudebegrünung eine bestimmte Anzahl an Ökopunkten zugesprochen werden, sodass diese den Kompensationsbedarf mindern. Als Ergebnis der BuGG-Recherche 2022 lässt sich für alle deutschen Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern festhalten, dass etwa 31 Prozent der Städte Ökopunkte für Dachbegrünungen und etwa zehn Prozent der Städte für Fassadenbegrünungen vergeben.
Während die Dachbegrünung in den meisten Biotopwertlisten der Länder berücksichtigt wird, ist die Fassadenbegrünung nur vereinzelt aufgeführt. Zum Teil werden bestimmte Bedingungen an die Begrünung geknüpft oder unterschiedlich viele Ökopunkte für extensive und intensive Bauweisen vergeben. Hier herrscht also noch Handlungsbedarf, einerseits um das Thema bekannter zu machen und zu nutzen und andererseits bundesweit zu vereinheitlichen.
Welche technischen Weiterentwicklungen gibt es, um Gebäudebegrünungen einfacher und damit kostengünstiger zu machen?
Dr. Gunter Mann: Meiner Meinung haben wir schon länger einfache und kostengünstige Dach- und Fassadenbegrünungssysteme, es ist immer eine Frage der Sichtweise. Und wenn ich mir anschaue, was schon ein einziger Quadratmeter Dach- oder Fassadenbegrünung an positiven Wirkungen leisten kann und noch mit seinem erlebbaren Grün Wohlbefinden bringt, ist das „unbezahlbar“.
Wir sind bei der Dachbegrünung schon sehr effektiv in System und Einbau und haben mit den Entwicklungen des schon angeführten Solar-Gründachs, aber auch des Retentionsgründachs weitere Funktionen auf dem Dach vereint, um die Dachflächen multifunktional zu nutzen. Auch bei der Fassadenbegrünung sind die angebotenen Systeme immer optimierter und werden durch häufigere und großflächigere Anwendung günstiger, und auch die gewerkeübergreifende Zusammenarbeit von Begrünern und Fassadenanbietern führt zu günstigeren Lösungen.
Dachbegrünungen stehen für ökologisches und nachhaltiges Bauen – aber für den Bau kommen natürlich unterschiedlichste Materialien zum Einsatz. Welche Entwicklungen sehen Sie hier im Markt, möglichst umweltverträgliche und ressourcenschonende Systeme zu entwickeln und einzubauen?
Dr. Gunter Mann: Wir hatten zu lange die Diskussion über biozidhaltige Dachabdichtungsbahnen – dafür gibt es nun Lösungen und Neuentwicklungen mit Bitumendachabdichtungen, die mittlerweile ihre Wurzelfestigkeit auch ohne Biozide sicherstellen. Die Kunststoffe, die wir beispielsweise bei den Gründachdränagen einsetzen, sind in der Regel Recyclingkunststoffe, die später auch wieder recycelt werden können. Und sie gehen innerhalb der Begrünung ja nicht kaputt, da sie unter dem Dachsubstrat vor UV-Strahlung und extremer Hitze geschützt sind. Und es gäbe ja schon seit einigen Jahren die Möglichkeit, Kunststoffelemente aus nachwachsenden Rohstoffen herzustellen.
Wo wir Potenzial sehen und aufgrund der ausgehenden Ressourcen handeln müssen, ist im Substratbereich. Zum einen nutzbare Rohstoffe aus Bauschutt gewinnen und zum anderen rückgebaute Dachsubstrate wieder zu verwenden. Ein Blick in die Gründachhistorie zeigt, dass die dezentrale Verwendung örtlich vorhandener Baustoffe und Böden keine neuen Ideen sind – doch vielleicht ist die Zeit nun reifer dafür!?
Gebäudegrün kann in Städten ein wichtiger Baustein sein, um die Lebensqualität zu sichern. Aber natürlich entscheidet die Pflege des Grüns über seine Funktionsfähigkeit. Die Stadt Paris hat nun begonnen, die Pflege von Fassadenbegrünungen nicht mehr dem Hauseigentümer zu überlassen, sondern diese seitens der Stadt durchzuführen (ähnlich wie bislang die Baumpflege in den Straßen). Welche weiteren Ansätze in diese Richtung gibt es oder wären notwendig?
Dr. Gunter Mann: Den genannten Ansatz finden wir gut und richtig! Die Sorge um die Pflege und deren Kosten ist einer der „Top-Punkte“ bei den Hemmnissen und Hürden in Sachen Gebäudegrün! Wenn wir Städte in Richtung Förderprogrammen beraten, versuchen wir, die Pflege für ein bis zwei Jahre als förderfähig unterzubringen und einem Fachbetrieb zu überlassen. Es erfordert aber auch ein Umdenken bei den Bauenden und Planenden, die Dach- und Fassadenbegrünung von Beginn an auch mit der Pflege und Wartung im Folgebetrieb einplanen müssen, so wie es sie es selbstredend bei Aufzügen, Sonnenschutz und anderen technischen Einrichtungen machen. Forschungen und Entwicklungen zur automatisierten Pflege von Gebäudebegrünungen durch Mähroboter laufen, ebenso wie Ansätze zu Monitoringverfahren für die Fernüberwachung. Diese ist bei wandgebundenen Fassadenbegrünungen hinsichtlich Bewässerung eigentlich schon Standard.
Der Kongress in Berlin beleuchtet den Stand des Gebäudegrüns weltweit. Welche Entwicklungen sehen Sie im Ausland, die wir aufgreifen könnten oder sollten?
Dr. Gunter Mann: Jetzt schwer zu sagen, das wird dann der Kongress zeigen, doch das nun stehende Programm verspricht eine interessante Vielfältigkeit. Ich bin besonders gespannt auf die Beispiele zum Solar-Gründach aus anderen Ländern (Skandinavien, USA, Australien) oder auf die Beiträge zum thermischen Verhalten von Gebäudebegrünungen und die Nutzung von Grauwasser. Auch wie wir unser Thema im Bereich „Bildung“ unterbringen, um ein anderes Bewusstsein und Umgang damit zu schaffen, wird interessant sein.
Regenwasserbewirtschaftung vor allem mit Dachbegrünungen wird einen Schwerpunkt einnehmen, was angesichts der immer häufiger auftretenden Jahrhundertregen auch wichtig ist. Ich würde sagen, wir lernen alle gegenseitig noch voneinander und ich bin gespannt, welches Fazit wir nach dem Kongress ziehen!
Gebäudegrün braucht die Unterstützung von Gemeinden, Kommunen, den Ländern und dem Bund. Gibt es genügend Rückenwind – oder wo besteht Bedarf?
Dr. Gunter Mann: Gebäudebegrünung wird in letzter Zeit medial ziemlich stark bespielt, das ist ja schön und gut, doch sie ist noch längst kein Selbstläufer! Ohne dem BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2023 vorgreifen zu wollen, doch die Steigerung begrünter Dachflächen von 2021 zu 2022 hielt sich sehr in Grenzen. Wir müssen dranbleiben und nicht nur reden, sondern auch handeln – und meines Erachtens auch weiterhin auf gesetzliche Vorgaben setzen, weiter informieren und aufklären und so nach und nach auf Freiwilligkeit bauen.
Wir leben in einer Demokratie und über die Kommunal-, Landes- und Bundespolitik mit verschiedenen politischen Entscheidungsebenen – das ist einerseits gut so, doch andererseits erschwert es auch eine einheitliche und schnelle Vorgehensweise und Umsetzung von Gebäudebegrünung und bremst uns manchmal aus. Das ist bei dem ein und anderen Land anders. Wir dürfen dennoch durchaus stolz sein, was wir seit 50 Jahren mit anerkannten Fachregeln, einer Vielzahl an kommunalen Förderinstrumenten und Fachbetrieben professionell etwa 150.000.000 Quadratmeter begrünter Dachfläche umgesetzt haben! Ich würde meinen, dass wir damit weltweit führend sind.
Anmeldung zum Kongress:
Eine Teilnahme am Kongress ist vor Ort (Präsenzveranstaltung) und auch online möglich. In allen Räumen wird es eine Simultanübersetzung Deutsch und Englisch geben. Bis zum 26. Mai ist eine Anmeldung zum Normaltarif möglich, danach gilt ein höherer Spätbucherpreis. Eine frühe Anmeldung lohnt sich also.
Tagungsort:
MERCURE HOTEL MOA BERLIN
Stephanstrasse 41
10559 Berlin Moabit