Wie Pflanzenerzeuger nicht im Blindflug ins Jahr 2023 gehen

Veröffentlichungsdatum: , Norbert Elgner

Bei explodierenden Produktionskosten müssen bestehende Preisschwellen neu kalkuliert werden. Foto: Norbert Elgner

Explodierende Energiekosten, verteuerte Betriebsmittel, drohende Kaufzurückhaltung auch für grüne Produkte, unsichere Hilfe durch die Politik – die Verunsicherungen durch den Ukraine-Krieg nehmen offenbar kein Ende. Doch als Unternehmer gilt es, sich trotzdem auf die Zukunft vorzubereiten. Norbert Elgner hat Überlegungen und Handlungsalternativen zur Navigationshilfe zusammengestellt, damit Pflanzenproduzenten nicht im Blindflug ins nächste Jahr gehen.

Kostenlage vs. Preise vs. Konsumbereitschaft

Die Sorgen unter Pflanzenproduzenten sind jetzt schon immens und nehmen mit Fortschreiten der Wochen in Richtung Heizperiode 2022/2023 weiter zu. Einerseits stellt sich die Frage nach einer gesicherten, einigermaßen bezahlbaren Energieversorgung, allen voran mit Erdgas. Andererseits schwindet die Konsumlust der Verbraucher in Anbetracht der Kriegsszenarien, Inflation und extremen Verteuerungen von Lebenshaltungskosten. Wie es tatsächlich im kommenden Herbst/Winter und dem darauffolgenden Frühjahr wird, gleicht einer rabenschwarzen Black Box.

Unter diesen Bedingungen den Spagat zwischen Anbauplanung, Produktionsumfang, Kostensteigerung, Preisanpassung und Kaufkraftschwund zu meistern, gleicht einer Herkulesaufgabe. Dabei erhebt sich die spannende Frage: Welche Optionen stellen sich für Pflanzenproduzenten überhaupt? Schließlich müssen sie produktionstechnisch mit einer verderblichen Ware in einer höchst volatilen Gemengelage in Vorleistung gehen. Dies gleicht einem Blindflug im undurchschaubaren Nebel.

Nachfolgend werden dennoch in diesem Kontext einige relevante Themen, Aspekte und Einschätzungen angesprochen, basierend auf eigenen Marktbeobachtungen, Gesprächen mit Betriebsleitern und Betriebsleiterinnen von Einzelhandelsgärtnereien, Großmarktbeschickern, Jungpflanzenproduzenten sowie Großproduzenten mit Absatz an den Systemhandel. Da es infolgedessen „den Produktionsbetrieb“ nicht gibt, sind die aufgeführten Alternativen und Checkpoints nicht immer eins zu eins umzusetzen, können aber zu Reflektionen anregen.

1. Brennstoffversorgung

Das größte Risiko besteht in einer sicheren Versorgung mit fossilen Brennstoffen, deren Verfügbarkeit nicht zu 100 Prozent gewährleistet ist. Falls doch, dann zu horrenden Kosten, die in vielen Fällen eine Pflanzenproduktion grenzwertig machen. Besonders prekär ist die Versorgungslage beim Erdgas. Daher lautet die Devise: weg vom Gas. Zumindest an der Gaseinsparung führt kein Weg vorbei, ganz abgesehen von der Kostenexplosion. Betriebe müssen sogar damit rechnen, dass ihnen im Notfall das Gas ganz abgedreht wird, was einem Worst Case gleichkäme.

Alternativen und Checkpoints:

  • Austausch des Gasbrenners gegen einen Ölbrenner, sofern es die Kesselbauweise erlaubt.
  • Einsatz einer mobilen Ölheizung, verbunden mit einem 1.000-Liter-Öltank. Dazu einen Heizungsbauer kontaktieren. Für Einzelhandelsgärtnereien gegebenenfalls interessant. Wasserschutzauflagen sind zu beachten.
  • Umstellung auf Holzhackschnitzel, was allerdings erhebliche Investitionskosten und Zeitspannen erfordert.
  • Auch für Kohle (Anthrazit) sind Lieferengpässe in der Heizperiode nicht ausgeschlossen. Daher erforderliche Menge gegebenenfalls schon jetzt bestellen und auf dem Hof zwischenlagern.
  • Lagerung der Kohle unter freiem Himmel ist zwar möglich. Wird sie aber nass und es kommt noch Frost hinzu, backt sie zusammen und wird problematisch im weiteren Transport.
  • Eine Umstellung auf Heizöl kann dann zur Verknappung und weiteren Preissteigerungen führen, falls auch die Industrie im großen Stil auf Heizöl umsteigt.
  • Steigt der Ölpreis auf 1,50 Euro pro Liter oder mehr, wird eine wirtschaftliche Pflanzenproduktion hierzulande sehr fraglich.
  • Wie eine Regelung eines Versicherungsfalles bei Gasstop und gleichzeitigem Frosteinbruch aussieht, ist ebenfalls zu klären.

2. Kosteneinsparung

In der aktuellen Situation ist dem Thema Kosteneinsparung besonderes Augenmerk zu schenken. Dies betrifft den gesamten Betriebsablauf einschließlich der notwendigen Betriebsmittel. Die Möglichkeiten sind betriebsindividuell. In Einzelhandelsgärtnereien sicherlich noch mit Potenzial, in Großbetrieben aber bereits weitgehend ausgereizt. Für spezielle Fragen im Sortimentsbereich sind Jungpflanzenfirmen zu kontaktieren.

Alternativen und Checkpoints:

  • Möglichkeiten zur Optimierung des Brutto-Netto-Flächenverhältnisses in beheizten Gewächshäusern prüfen. Gegebenenfalls moderate Nutzung von Hängen.
  • Erhöhung des Flächenbesatzes (Pflanzen pro Netto-Quadratmeter), etwa durch Umstellung vom 13-Zentimeter-Topf auf den 12-Zentimeter-Topf. Jedoch Vorsicht, ein solches Downgraden der Pflanzenqualität hat unter Umständen Auswirkung auf den Verkaufspreis.
  • Gegebenenfalls Installation oder Neuinstallation eines Energieschirms prüfen.
  • Vliesabdeckung während Kältephasen vorsehen (zum Beispiel bei Viola)
  • Wo möglich, auf Sorten innerhalb einer kultivierten Pflanzenart umstellen, die signifikant temperaturtoleranter sind, aber den Markerfordernissen genügen.
  • Gegebenenfalls schnellwachsende Sorten favorisieren, wenn sie insgesamt mit einer kürzeren Kulturzeit auskommen.
  • Sorten oder Arten herausfiltern, für die im bestehenden Kulturprogramm eine vorübergehende Kaltkultur anwendbar ist.
  • Insgesamt darauf hinwirken, dass Gemüsejungpflanzen wieder vermehrt erst ab Mai, etwa nach den Eisheiligen zum Verkauf kommen, da solche Verkaufssätze weniger heizintensiv sind.
  • Generell frühzeitiges Ordern von Betriebsmitteln, sowohl aus Gründen der Versorgungssicherheit als auch, um weiteren Kostensteigerungen zu begegnen. Paradebeispiel sind Kulturtöpfe mit ihren oft langen Lieferzeiten, nicht selten verbunden mit zwischenzeitlichen Preiserhöhungen. Abnahme dann freigestellt.
  • Grundsätzlich ergibt eine bessere Bevorratung von Betriebsmitteln Sinn, da ein Ende der Preisspirale noch nicht in Sicht ist.
  • Besonders wichtig wäre die Vereinbarung von Festpreisen mit Lieferanten. In diesem Punkt haben Großabnehmer gewisse Vorteile.

3. Produktionsumfang

Hierbei geht es um das Festlegen des Mengengerüsts für 2023, etwa für das Warensegment Beet- und Balkonpflanzen. Aus der Erfahrung der Saison 2022 lässt sich schließen, dass für 2023 die Produktion von Beet- und Balkonpflanzen im Schnitt um 15 bis 20 Prozent zurückgefahren werden dürfte. Nicht ganz klar ist allerdings, von welchem Ausgangspunkt ausgegangen wird. Nach Stand der Dinge dürfte sich der Produktionsumfang für 2023 auf dem Vor-Corona-Niveau von 2019 bewegen.

Alternativen und Checkpoints:

  • Momentan sind viele Betriebsleiter und Betriebsleiterinnen aufgrund der schwer einzuschätzenden Lage noch zögerlich mit Bestellungen bei ihrem Jungpflanzenbetrieb, was wiederum die Terminierung von Jungpflanzenlieferungen erschweren kann.
  • Ein Kulturwechsel auf weniger heizintensiven Kulturen findet generell wenig Anklang. Zwar lassen sich dadurch Heizkosten sparen, eine Überproduktion derartiger Artikel (etwa Frühjahrsblüher) scheint jedoch dann vorprogrammiert. Letztendlich muss der Köder nicht dem Angler (Gärtner) schmecken, sondern dem Fisch (Kunden).
  • Insbesondere in Großbetrieben ist ein Kulturwechsel auf die Schnelle nicht machbar, denn die Abnehmer müssen „mitgenommen“ werden. Sie sind sozusagen als „Tanker“ im Marktbetrieb nur schwer manövrierfähig. Kulturprogramm, Termine und Absatzmengen sind vertraglich zu 90 bis 95 Prozent festgelegt. Bereits eine Veränderung von Topfgrößen ist ohne Absprache unzulässig.
  • Größere Stilllegungen von heizbaren Gewächshausflächen sind im Moment offensichtlich noch nicht beabsichtigt.
  • Bei einer Rohrheizung stellt sich dann sowohl das Problem von Frostschäden an den Rohren, wenn das Wasser nicht restlos abgelassen wird, als auch Glasbruch, bei Schneefall.
  • Um einem Auffrieren der Rohre vorzubeugen, kann dem Heizungswasser ein Frostschutzmittel beigesetzt werden. Dazu Heizungsbauer kontaktieren.
  • Luftheizer bieten im Falle einer Kaltstellung von Gewächshäusern Vorteile.
  • In puncto Umstellung ist auch die Möglichkeit eines Direktabsatzes mit Verkauf aus der Gärtnerei in Erwägung zu ziehen. Dieses Factory-Outlet-Modell ist für Produktionsbetriebe in Stadtnähe durchaus eine Alternative.
  • In vielen Einzelhandelsgärtnereien stellt sich die altbekannte und viel diskutierte Frage: Eigenproduktion vs. Zukauf. Die jetzige Situation bringt die kleinteilige Eigenproduktion mit ihren hohen Gestehungskosten ins Wanken. In vielen Fällen dürfte die Eigenproduktion zugunsten des Zukaufs auf der Strecke bleiben, zumindest in marktnahen Regionen.

4. Anbauplanung, Terminierung

Weitere Stellschrauben bietet die Terminierung von Anbausätzen. So beabsichtigt man vielfach die Kultur von Beet- und Balkonpflanzen zwei Wochen später zu beginnen, allerdings bei Beibehaltung des Verkaufszeitpunktes. Die Praxis sieht hier Möglichkeiten, dem oft strengen Wintermonat Februar heizungstechnisch weitgehend aus dem Wege zu gehen.

Alternativen und Checkpoints:

  • Es wird für machbar gehalten, den Kulturbeginn von Woche vier oder fünf auf die Woche sechs oder sieben zu verlegen und zwar ohne nennenswerte Qualitätseinbußen der Verkaufsware.
  • Gegebenenfalls wäre da und dort mit doppelt gesteckten Jungpflanzen zu arbeiten.
  • Als Nebeneffekt eines späteren Kulturstarts muss der Arbeitsspitzen-Problematik Beachtung geschenkt werden.
  • Für Einzelhandelsgärtnereien besteht die Option eines verstärkten Rohwarenzukaufs, um eigene Gewächshausflächen später, etwa in Woche zehn bis zwölf zu bestücken. Dies setzt geeignete Partner voraus, nebst einer entsprechend frühzeitigen Disponierung. Entscheidend ist, dass der Rohwarenpreis die Einsparung eigener Anzuchtkosten rechtfertigt.
  • Es besteht Einigkeit darüber, dass bei allen Anbau- und Kulturplanungen Qualitätseinbußen keine Optionen sind.

5. Preisanpassungen

Prinzipiell machen die Kostensteigerungen auf breiter Front eine adäquate Preisanpassung der Produkte unausweichlich. Ob sie allerdings in jedem Falle erreicht werden kann, ist fraglich. Gerade für Beet- und Balkonpflanzen galten im Einzelhandel über viele Jahre hinweg konstante Preise unter Beachtung psychologisch wirksamer Preisschwellen. Auch neu angepasste Preise müssen dem bewähren Preismuster folgen. Wie auch immer, selbst in Krisenzeiten regeln Angebot und Nachfrage den Preis einer Ware. Erst recht dann, wenn diese leicht verderblich ist, wie es für Blumen und Pflanzen zutrifft. Ist zu viel Ware auf dem Markt, folgen Notverkäufe, die Preise purzeln in den Keller. Kalkulierte Preisanpassung ist passé. Preise auf Achterbahnfahrt sind auf Produktionsebene an der Tagesordnung, dagegen bleiben sie im Einzelhandel weitgehend auf konstantem Niveau.

Alternativen und Checkpoints:

  • Das Verständnis für Preisanpassungen, ob auf der B2B- oder der B2C-Ebene, ist derzeit vorhanden. Somit handelt es sich um ein Gebot der Stunde.
  • Jedes Unternehmen braucht in Summe kostendeckende Preise. Aus markttechnischen Überlegungen sowie unter Deckungsbeitragsaspekten können einzelne Posten auch unterhalb der Vollkostendeckung verkauft werden, allerdings nur kurzfristig und in Ausnahmefällen.
  • Preise im Beet- und Balkonpflanzen-Sortiment konnten in 2022 um fünfzehn bis zwanzig Prozent angepasst werden, und zwar ohne große Missstimmungen beim Kunden auszulösen.
  • Beim berüchtigten „Schluck aus der Pulle“ ist allerdings Vorsicht geboten. Die an sich treue Kundschaft im Fachhandel sollte auf keinen Fall verprellt werden, eigentlich niemals und erst recht nicht in der heutigen Zeit.
  • Ebenso problematisch sind versteckte Preiserhöhungen etwa durch reduzierte Mengen im Gebinde respektive in der Verpackung sowie jene bei abgespeckten Qualitäten. Hier ist die Kommunikation einer ehrlichen Preisanpassung allemal fairer.
  • Für Großmarktbeschicker waren Preisanpassungen in genannter Größenordnung durchaus realisierbar. Hilfreich ist dabei der persönliche Kontakt.
  • Großbetriebe müssen ihren Großabnehmern gegenüber verdeutlichen, dass Preisanpassungen konkret aus diesen und jenen Gründen unausweichlich werden. Dies setzt Erfahrung, ein gewisses Verhandlungsgeschick und einen Grundkonsens über ein partnerschaftliches, faires Miteinander voraus. Denn auch Großabnehmer sind auf leistungsfähige, erfolgreich arbeitende Erzeugerbetriebe angewiesen.
  • Es gilt nachvollziehbar darzustellen, wo und wie sich Kosten verändert haben oder verändern werden.
  • Immer wichtiger wird es auf dieser Handelsebene außerdem, ein verantwortungsvolles Wirtschaften ins Feld zu führen, untermauert etwa mit einer Zertifizierung durch eine anerkannte Organisation.

Fazit

Aufgrund der geballten Krisen kommen große Herausforderungen auf unsere gesamte Gesellschaft zu, ob im öffentlichen, privaten oder unternehmerischen Bereich – so auch auf unsere Branche. Bis einschließlich dem zweiten Quartal 2022 hielten sich die Auswirkungen zumindest auf dem Blumen- und Pflanzensektor in Grenzen. Die Umsätze konnten jene des Referenzzeittraums 2019 sogar deutlich übertreffen, sodass auch real, nach Abzug der Inflationsrate, im Durchschnitt ein Plus verblieb.

Ein Vergleich zu 2021 mit dem boomenden Pflanzenmarkt fällt dagegen erwartungsgemäß negativ aus. Wie sich die Situation weiter entwickeln wird, kann von niemandem seriös prognostiziert werden. Insofern macht die Planungsunsicherheit insbesondere den Produzenten zu schaffen, die über Monate hinweg in Vorleistung treten müssen. Überlegungen zu Handlungsalternativen, die unter diesen volatilen Gegebenheiten zur Abfederung der vor allem kostentreibenden Unwägbarkeiten ergriffen werden können, sind Gegenstand des Beitrags, mit der Absicht, zu Reflexionen anzuregen.

Alles in allem herrscht in Praktikerkreisen für 2023 keine Katastrophenstimmung, sondern eher ein deutlich gedämpfter Optimismus vor. Alle Hoffnungen beruhen darauf, dass es nicht noch zu weiteren, unsäglichen Kriegsauswirkungen und Eskalationen kommt, vor allem auch die schon stark beeinträchtigte Gasversorgung nicht total zusammenbricht. In Anbetracht der weitgehend überstandenen Einschränkungen während der Corona-Pandemie darf man zuversichtlich sein, dass auch die aus dem russischen Angriffskrieg resultierenden Auswirkungen mit vereinten Kräften gemeistert werden.

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